Zwischen demokratischer Normalisierung und Systemopposition
Par Jean-Yves Camus
Am Tag nach der Präsidentenwahl vom 6. Mai sprachen sich 54% der Anhänger der konservativen Partei UMP und 77% der FN-Sympathisanten für Absprachen zwischen den beiden Organisationen aus, zumindest auf lokaler Ebene und von Fall zu Fall. Frankreich bereitet sich nun schon auf die Kommunalwahlen 2014 vor. Welche mittelfristigen Perspektiven hat der FN, gestärkt durch die 17,9%, die Marine Le Pen erzielte?
Eine diversifizierte Wählerschaft bei der Präsidentenwahl 2012
Am 5. Oktober 2012 wird der FN den 40. Jahrestag seiner Gründung begehen. Jean-Marie Le Pen, sein erster Präsident, ist bis zum 15. Januar 2011 auf diesem Posten geblieben; an diesem Tag wurde er zum Ehrenpräsidenten ernannt. Seine Tochter Marine Le Pen, geboren 1968, hat seine Nachfolge angetreten. In einer Mitgliederbefragung erhielt sie 67,65%, 32,35% stimmten für ihren Gegner, den Europa-Abgeordneten Bruno Gollnisch, der die Unterstützung der radikalsten Strömungen der Partei besaß. Die FN-Präsidentin hat die zwei ersten Etappen erfolgreich absolviert: Sie erzielte ein gutes Ergebnis in der ersten Runde der Präsidentenwahl am 22. April und trug dazu bei, Nicolas Sarkozy in der zweiten Runde zu schlagen. Ersteres erlaubt es ihr eineinhalb Jahre nach der Übernahme der FN-Leitung, ihre Macht im Herzen einer Bewegung auszubauen, in der keine innere Opposition mehr existiert, die in der Lage wäre, ihre Führung anzufechten. Letzteres ist für die Zukunft wesentlich.
Im Ergebnis zeigt die Wahlanalyse, dass nur 56% der Le Pen-Wähler in der zweiten Runde Sarkozy wählten, während 28% François Hollande vorzogen und die übrigen auf die Stimmabgabe verzichteten oder ungültig wählten. Dies bedeutet, dass der FN nicht mehr automatisch als Wählerreservoir für die UMP fungiert, insbesondere im Westen und im Zentrum des Landes, wo sich die ländlichen Stimmen für den FN konsolidieren. Das beunruhigt die etablierte Rechte, die in der ersten Runde den FN teilweise nur knapp hinter sich lassen konnte – in der Region Nord-Pas de Calais (0,33 Prozentpunkte Vorsprung), in der Picardie (0,06), im Languedoc-Roussillon (1,31), der Lorraine (1,7) und sogar im südwestlichen Département Ariège (1,93), wohin FN-Vizepräsident Louis Aliot familiäre Verbindungen hat. Die FN-Präsidentin war Sarkozy in den Départements Aude und Pas de Calais, in einem Teil des Départements Vaucluse, in Dunkerque und in mehreren mittelgroßen Städten im Alsace sogar überlegen. Eine Bestätigung für diejenigen, die es vergessen hatten: Der FN sorgt weiterhin mit schöner Regelmäßigkeit für grobe Ausfälle im politischen System; Jean-Marie Le Pen hatte ja bereits bei den Präsidentenwahlen von 1988 und 1995 15% erhalten. Das bedeutet, dass das Votum für den FN kein « Krisenvotum » ist, sondern eine strukturelle Größe, und dass es von einem Protestvotum immer mehr zu einem zustimmendem Votum wird: Dieses Mal wünschten 40% derjenigen, die Marine Le Pen wählten, dass sie auch wirklich Präsidentin werde, und 67% gingen davon aus, dass sie ihren Sorgen Rechnung tragen werde. Das ist eine wichtige Veränderung im Vergleich zur Epoche ihres Vaters.
Betrachten wir nun die Soziologie des FN-Votums bei der Präsidentenwahl. Die FN-Kandidatin hat ihre Basis vor allem in Bereichen ausgebaut, in denen sie schon stark war. Das ist der Fall bei den Arbeitern. Vor fünf Jahren waren sie in der Wählerschaft von Jean-Marie Le Pen bereits überrepräsentiert, aber die Zahl derjenigen unter ihnen, die für Ségolène Royal oder für Nicolas Sarkozy stimmten, war noch größer. Dieses Jahr liegt Marine Le Pen bei den Arbeitern vorn (29%), einen Prozentpunkt vor dem sozialistischen Kandidaten (28%). Marine Le Pen hat es geschafft, die soziologische Basis, auf die sich ihr Vater gestützt hatte, zu konsolidieren und gewisse Tendenzen umzukehren. 2007 hatte der Vater bei den 18- bis 24-Jährigen unterdurchschnittliche Wahlergebnisse erzielt, ebenso bei den Handwerkern und Kaufleuten. Dieses Jahr hat die Tochter 19% der ersteren und 26% der Letzteren überzeugt. Von nun an – und das ist das eigentlich Neue an dem Votum von 2012 – bleiben wenige Bereiche der Gesellschaft unempfänglich für den FN: Das ist außer bei Personen mit sehr hohem Bildungsstandard, bei qualifizierten Fachkräften und bei denjenigen, deren Monatseinkommen 3.000 Euro übersteigt, kaum noch der Fall. Die Soziologie des FN-Votums ist banal geworden, und das ist ohne Zweifel eines der Anzeichen für den Erfolg der « Entdiabolisierung » der Partei, wie sie Marine Le Pen wünschte.
Marine Le Pen profitiert von einigen Vorteilen. Ihr Alter, 44 Jahre, erlaubt es ihr, Kandidaturen für 2017 und 2022 ins Auge zu fassen. Sie verfügt zudem über eine lokale Verankerung in Hénin-Beaumont, über eine ihr nahestehende Garde im FN-Apparat, die eine neue Generation verkörpert (Louis Aliot ist 43 Jahre alt, Steeve Briois 40, Bruno Bilde 36 und Florian Philippot 31); auch werden die 3,528 Millionen Stimmen (13,6%) bei den Parlamentswahlen vom 10. und vom 17. Juni die FN-Finanzen wieder flottmachen, die nach der Niederlage von 2007 ausgeblutet waren. Schließlich hat sie eine kohärente politische Linie gegenüber der etablierten Rechten definiert, die durch ihre Niederlage und den Verlust ihres Anführers Nicolas Sarkozy aus dem Gleis geraten ist. Marines Schlachtplan kann man folgendermaßen wiedergeben: Zuerst noch stärker werden, um sich der UMP weiter zu nähern – das ist auf lokaler Ebene möglich, schwieriger auf nationaler Ebene, da der Abstand auf Sarkozy 8% betrug; gleichzeitig an die Mitglieder und die gewählten Vertreter « an der Basis » appellieren, die genug davon haben, den Verlusten der UMP zuzusehen – sie sollen eine Annäherung zwischen den beiden Formationen predigen. Zusammenfassen lässt sich das alles in einem Wunsch: Dass die etablierte Rechte bis zu den Kommunalwahlen von 2014 implodiert.
Welche Hindernisse können sich vor Marine Le Pen und dem FN auftürmen? Das erste ist die Standfestigkeit der UMP: Nicolas Sarkozy, Jean-François Copé und sogar Thierry Mariani von der Droite Populaire haben wiederholt, es werde keine Bündnisse geben. Abweichende Stimmen sind bislang sehr vereinzelt: Jean-Paul Garraud, ehemalige Abgeordneter aus der Gironde, der rechte Schriftsteller Denis Tillinac, der souveränistische Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan aus dem Département Essonne, dessen Partei Debout la République (« Hoch die Republik ») meint, man müsse mit dem FN « einen Dialog führen ». Das zweite mögliche Hindernis wäre eine Rechtsentwicklung der UMP. Der Journalist Eric Branca wünscht in der nationalliberalen Wochenzeitschrift Valeurs actuelles im Anklang an Ernest Renan eine « intellektuelle und moralische Reform » der Rechten, die – so Ivan Rioufol in der konservativen Tageszeitung Le Figaro – zur « dümmsten der Welt » geworden sei. Ein Teil der UMP meint, Sarkozy sei nicht geschlagen worden, weil er zu weit rechts, sondern weil er nicht weit genug rechts gestanden habe. Die strategische Linie seines Beraters Patrick Buisson etwa hatte vorgesehen, dem FN mit den Themen « moralische Werte », « Einwanderung » und « französische Identität » Konkurrenz zu machen.
Ein weiteres Problem für den FN: Er muss seinen Mangel an fähigen und erfahrenen lokalen Kadern ausgleichen, die der UMP im Überfluss zur Verfügung stehen. Anfang Mai drückte der alte Mégret-Parteigänger Nicolas Bay seine Unruhe darüber aus – und provozierte damit eine scharfe Erwiderung von FN-Vizepräsident Louis Aliot, der diesen Mangel der Tatsache zuschrieb, dass die Anhänger von Bruno Mégret Ende 1998 die Partei verlassen hatten. Unmittelbare Erwiderung von Bay: « Insgesamt 14 Jahre lang haben also die Le Pen-Anhänger nichts zustande bekommen! Wer ist denn nun vielleicht der wichtigste Grund dafür, dass der FN sich niemals in den großen Alleen der Macht aufgehalten hat? » Betrachten wir jetzt die Geschichte des FN und die Gründe, warum er noch eine Zukunft vor sich hat.
In der historischen Tradition der extremen französischen Rechten
Seit 1972 verschreibt sich der FN der Eroberung der Macht mit demokratischen Mitteln: durch Wahlen. Seit Mitte der 1980er Jahre behauptet er sich als die dritte politische Kraft Frankreichs hinter der konservativ-liberalen Rechten (UMP) und dem Parti Socialiste, wobei er bis zu fünf Millionen Stimmen auf sich vereinigen kann. Dieser Wahlerfolg ist ein Ereignis, da die extreme französische Rechte trotz des kurzen poujadistischen Aufschwungs von 1956 bis 1958 marginalisiert war – aufgrund ihrer Kollaboration mit dem Faschismus und dem Nationalsozialismus ebenso wie aufgrund des antirepublikanischen Charakters des Vichy-Regimes. Über seinen Einfluss bei den Wahlen hinaus hat der FN sich seit 1984 eine herausragende Stellung in der öffentlichen Debatte verschafft – durch den radikalen Charakter seiner Forderungen zu nationaler Identität, Einwanderung und Sicherheit. Er hat dabei das genaue Gegenteil dessen getan, was die Regierungspraxis der Rechten wie auch der Linken kennzeichnet. Er war der einzige, der sich dem kulturellen Pluralismus widersetzte, der europäischen Einigung, der Abschaffung der Todesstrafe, den liberalen Eliten.
Ursprünglich ist der FN von den Anführern der neofaschistischen Bewegung Ordre Nouveau (ON) gegründet worden, die darauf bedacht waren, sich einen Rückzugsort zu verschaffen – für den Fall, dass der ON, der ganz wie seine linken Gegner politische Gewalt ausübte, von der Regierung aufgelöst werden sollte. Im Juni 1937 wird die kleine Partei mit ungefähr tausend Mitgliedern, die bei Wahlen höchstens 2% der Stimmen erzielte, tatsächlich aufgelöst. Le Pen ist damals Präsident des FN, da die Leiter des ON der Ansicht sind, er sei die bekannteste Persönlichkeit des nationalistischen Spektrums. Er hat jedoch lediglich eine kleine Hausmacht; die wirklichen Führer des FN sind der alte Kämpfer der Milice Française François Brigneau (gestorben 2012), der alte mitglied der Parti Franciste Pierre Bousquet und vor allem der Holocaust-Leugner François Duprat. Recht schnell erlaubt die Auflösung des ON es Le Pen, sich an der Spitze des FN durchzusetzen. Die zentralen Parolen der Partei datieren aus dieser Zeit: Der ON gibt 1973 die Parole « Stoppt die wilde Einwanderung » aus; der FN benutzt 1978 den Slogan « Eine Million Arbeitslose sind eine Million Immigranten zuviel ». Die Partei verbindet mehrere Generationen des extrem rechten Aktivismus: von den Ligues der 1930er Jahre bis zur Kollaboration, vom Poujadismus bis zur OAS und ihrem Kampf für die Algérie Française.
Die extremistische Herkunft entwickelt sich in dem Maße weiter, wie beim FN eine neue Generation von Mitgliedern ankommt, die das Gründungs-Triptychon aus Ligues, Kollaboration und Kolonialkriegen nicht mehr selbst erlebt hat. Eine Milderung tritt ein, als die sozialistisch-kommunistische Koalition im Mai 1981 an die Macht kommt und sich politischer Raum für den FN öffnet. Generalsekretär Jean-Pierre Stirbois (1981 bis 1988) transformiert die Partei in eine strukturierte, professionelle Organisation, die ideologische Reinheit mit politischem Pragmatismus zu verbinden sucht. 1983 gestattet die Übereinkunft, die sie für die Kommunalwahlen in Dreux mit der örtlichen konservativen Rechten schließt, die Wahl eines FN-Kandidaten auf den Posten eines stellvertretenden Bürgermeisters – zum ersten Mal seit 1944. Der Einzug von zehn FN-Abgeordneten ins Europaparlament im Jahr 1984, gefolgt 1986 vom Einzug von 35 Abgeordneten in die Assemblée Nationale, vollendet den Aufstieg des FN zu einer bedeutenden politischen Partei; dabei durchbricht er erstmals die Zehn-Prozent-Schranke, eine Schwelle, hinter die er nur einmal zurückfällt – 2007 im Kampf gegen Sarkozy.
Seither ist es der Haupterfolg des FN gewesen, eine ideologische Software auszuarbeiten, die den Grundlagen des französischen Nationalismus treu bleibt und zugleich hinlänglich auf der Höhe der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Zeit steht, um eine sozial stark diversifizierte, von der Linken wie von der Rechten enttäuschte Wählerschaft an sich zu binden. Einige seiner politischen Forderungen sind nie verändert worden. Die wichtigste ist die Totalopposition zu jeder Form von Einwanderung, wenn auch Marine Le Pen weniger als ihr Vater von der « Umkehrung der Migrationsflüsse » spricht – damit sind die Abschiebung von Einwanderern und « Null Immigration » gemeint, zudem der Austritt Frankreichs aus der Schengen-Zone sowie aus der EU. Die juristische Anwendung dessen ist die « Préférence Nationale », eine FN-Forderung, die ein ausschließliches Vorrecht auf Beschäftigung, Sozialhilfe oder Sozialwohnungen für Franzosen vorsieht, wobei der FN nicht zwischen Einwanderern aus europäischen und außereuropäischen Staaten unterscheidet. Diese Forderung, die der französischen Verfassung zuwiderläuft, ist eine « rote Linie », die bislang noch die konservativste Fraktion der etablierten Rechten, die UMP-Strömung Droite Populaire, von der extremen Rechten trennt.
Ein anderer Programmpunkt, der den FN auszeichnet: Er verlangt den unmittelbaren Austritt aus dem Euro und der Europäischen Union, die Rückkehr zu ökonomischem Protektionismus und zum Franc als nationaler Währung. In der Wirtschaftspolitik hat der FN mehrere Phasen durchlaufen. Die erste, von 1981 bis 1995, war diejenige eines Reagan-Thatcher’schen Ultraliberalismus – mit der Forderung, die Einkommenssteuer abzuschaffen, mit dem Willen, das Arbeitsrecht und die sozialen Errungenschaften der Lohnabhängigen zu schleifen, mit der Apologie individueller Initiative und individuellen Erfolgs anstelle jeglicher Form von « Kollektivismus » oder Wohlfahrtsstaat. Die zweite Phase ab Dezember 1995 ist die « soziale Wende »: Der FN widersetzt sich einer Politik der Härte, die das Rentenalter anhebt und die Ausgaben der Sozialversicherung beschränkt. Die Nummer zwei des FN, Bruno Mégret, erklärt am 13. Februar 1996: « Wir sind in einer vorrevolutionären Situation, (denn es gibt) einen Bruch zwischen der Bevölkerung und ihren institutionellen Eliten und ganz besonders mit der politischen Klasse. Die soziale Bewegung vom Herbst war der ins Auge stechende Ausdruck dessen ». Er fügt hinzu: « In Wirklichkeit ist es ganz global die Arbeitswelt, die sich bemerkbar macht, um ihre Unruhe angesichts der Destabilisierung unserer Wirtschaft auszudrücken, die wiederum verbunden ist mit der Globalisierung und mit Maastricht. Es ist kein Zufall, wenn die Landkarte der größten Demonstrationen der Landkarte des Nein zu Maastricht entspricht. » Der FN pflegt 2012, wenn auch ohne Mégret, denselben Diskurs.
Die Soziologie des FN entwickelt sich parallel. 1988 ist die Zustimmung für ihn ein bürgerliches Votum. Ab 1995 wird es zu einem Votum aus der ganzen Bevölkerung. Der FN, zur ersten Partei unter den Arbeitern (30%) und den Arbeitslosen (25%) geworden, verkörpert von nun an das « Frankreich von unten », das sich weder in der Rechten noch in der Linken wiedererkennt; seine frühere Wählerschaft hatte hauptsächlich aus radikalisierten Wählern der Rechten bestanden, die zu den mittleren und wohlhabenden Klassen gehörten. Die Protest-Dimension des FN scheint deutlich auf: Die Partei, die niemals Anteil an der Macht hatte, kann sich als glaubwürdige Alternative zu den demokratischen Parteien inszenieren und insbesondere diejenigen anziehen, die von der Regierungslinken enttäuscht sind, die ab 1983 einen endgültigen Schwenk zu den Werten des Marktes und der liberalen Herrschaft vollzogen hat. Dennoch ist das Votum für den FN nicht allein ein Protest: Keine politische Partei bindet 30 Jahre lang 10 bis 15% der Wählerschaft, ohne dass es eine zumindest minimale Zustimmung zu ihren Thesen gäbe. In der Tat ist das Votum für den FN eines für den Ethnozentrismus, für eine autoritäre Gesellschaftsvision – ein Bestandteil der Arbeiterkultur -, für den Kulturpessimismus bis hin zur fixen Idee von der Dekadenz in einem Universum, das von der Globalisierung rapide verändert wird. Die ewige Debatte um « Protestvotum » und « zustimmendes Votum » kann abgeschlossen werden: Beide Dimensionen gehen offensichtlich miteinander einher.
Eine Expansion, begrenzt durch den « cordon sanitaire »
Bei seinem Bemühen, an der Macht teilzuhaben, stößt der FN auf ein bedeutendes Hindernis: Alle Parteien praktizieren ihm gegenüber die Politik des sogenannten Cordon Sanitaire, die darin besteht, jede Regierungsübereinkunft, jede Wahlunion mit ihm, jeden Verzicht zu seinen Gunsten abzulehnen. Die wenigen Ausnahmen, die es auf regionaler Ebene gab, sind von den Spitzen der jeweiligen rechten Parteien missbilligt worden, insbesondere von Präsident Jacques Chirac, der dem FN sehr feindselig gegenüberstand. Lokale Absprachen bei Kommunalwahlen haben dasselbe Schicksal erfahren. Schwieriger ist es in der Frage, wie die Rechte in der zweiten Runde einer Wahl vorgeht, wenn ein FN-Kandidat demjenigen einer linken Partei gegenübersteht. Eine erste Möglichkeit besteht in der Taktik des « Front Républicain », die darin besteht, zur Wahl des FN-Gegners aufzurufen, um wen auch immer es sich handelt. Die gegenwärtige UMP-Führung widersetzt sich dem, da sie fürchtet, dass eine solche Wahlempfehlung das FN-Votum gegen die « Systemparteien » stärkt; sie schlägt die Strategie eines « weder FN noch Front Républicain » vor. Bei den Départementswahlen von 2011 konnte der FN im Falle von Zweikämpfen zwischen ihm und der Linken in der zweiten Runde im Durchschnitt 10,6% gewinnen. In den Zweikämpfen mit der Rechten kam er ebenfalls auf durchschnittlich 10,5%. Diese Zahlen zeigen eine neue Dynamik, die den « Front Républicain » in Frage stellen kann: In der Tat scheint es, als ob der FN Stimmen sowohl von der Rechten als auch von der Linken auf sich ziehen kann – und dass er von den Wählern nicht mehr verteufelt wird.
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Charismatische Führung, gelungene Nachfolge
Eine der bemerkenswertesten Besonderheiten des FN ist es, dass er seinen Durchbruch bei Wahlen und in den Medien der Persönlichkeit eines einzigen Mannes verdankt und dennoch erfolgreich dessen Nachfolge geregelt hat. Die Persönlichkeit Le Pen war unbestritten ein Trumpf. Der Mann, geboren 1928, 1956 mit 27 Jahren jüngster Abgeordneter Frankreichs, freiwillig in den Kriegen in Indochina und Algerien im Einsatz – bei den Fallschirmjägern -, aber gleichzeitig Rechtsanwalt von Beruf und klassisch gebildet, ist eine Figur, in der sich viele Franzosen wiedererkennen können, bis hin zu seiner Urwüchsigkeit und seiner Überspitztheit. Zudem hat er der Partei eine Art der Führung aufgezwungen, die sicherlich autokratisch ist, die aber den FN erfolgreich vor den Kinderkrankheiten der extremen Rechten bewahrt hat – vor der Spaltung und vor egozentrischen Streitigkeiten zwischen den Führern politischer Sekten. Indem er Kader zum Austritt aus dem FN zwang oder marginalisierte, die versucht waren, ihn in den Schatten zu stellen oder seine Strategie zu bekämpfen, vermied er, dass seine Partei wieder in Sektierertum abglitt. Dass er 1998 Bruno Mégret aus dem FN drängte, kostete einen hohen Preis: Zahlreiche Kader verließen die Partei; sie hat bis heute ihre frühere Mitgliederstärke nicht mehr erreicht. Man kann dennoch annehmen, dass sie dabei ist, verlorenes Terrain wiederzugewinnen – mit dem Zuwachs an Mitgliedern seit den Regionalwahlen von 2010 und mit der Übernahme der Kommandoposten durch die Mannschaft von Marine Le Pen.
Die Wahl von Marine Le Pen zur Parteipräsidentin ist oft als eine Form von Vetternwirtschaft interpretiert worden. Das ist aus mehreren Gründen sehr fragwürdig. Erstens hat Jean-Marie Le Pen zwar erklärt, dass er seine Tochter bevorzugt, aber er hat sie ihre Fähigkeiten seit 2002 unter Beweis stellen lassen. Marine musste sich ein Image schaffen, sich erfolgreich in Hénin-Beaumont verankern. Zweitens hat sich der FN im Innern demokratisiert. Es gab einen echten Kampf um die Nachfolge: Marine Le Pen wie auch Bruno Gollnisch stellten ihre Vision für die Partei in den Medien dar, richteten Unterstützungskomitees ein. Dieser Prozess mündete zum ersten Mal seit 1972 in eine annähernd transparente Wahl. Die Minderheit, die von Bruno Gollnisch geführt wurde, wurde nicht ausgeschaltet: Sie hält rund 40% der Sitze im Zentralkomitee und im Politbüro; nur die höchste Instanz, das Exekutivbüro mit acht Mitgliedern, steht geschlossen Marine Le Pen nahe. Drittens drückt außer Gollnisch auch Jean-Marie Le Pen zuweilen seine Differenzen gegenüber seiner Tochter aus, vor allem, als sie mehrere Parteigänger von Gollnisch ausschließen ließ, die der Sympathie für den Neonazismus beschuldigt worden waren. Insgesamt hat die Nachfolge nicht zur Gründung einer Organisation geführt, die dem FN ernsthaft Konkurrenz machen könnte. Der Parti de la France des ehemaligen FN-Kaders Carl Lang konnte bei den Präsidentschaftswahlen keinen Kandidaten stellen und repräsentiert allenfalls 2% der Stimmen.
Première parution : Jean-Yves Camus, « Zwischen demokratischer Normalisierung und Systemopposition Der französische Front National (FN) nach den Wahlen 2012 », Revue Lotta n°49, 2012, pp.48-52